Die Mongolei - ein Reisebericht

Wenn es stimmt, dass der Weg zum Paradies lang und holprig ist, dann ist eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Mongolei der Beweis dafür. Natürlich hätte man auch einen Flug nach Ulan Bator buchen können, aber unvergessliche Erlebnisse und erstaunliche Eindrücke wären uns versagt geblieben.
Ulan Bator empfing uns mit frischgewaschenen Bahnsteigen, denn es hatte gerade geregnet. Menschen, überall Menschen! Nicht nur wir wurden bereits erwartet, sondern die meisten der aus dem Zug steigenden ebenso. Irgendwo hatte ich gelesen, dass in etwa 3000 Touristen das Land im Jahr besuchen. Das habe ich auf der Stelle bezweifelt, denn dann hätten sie alle an jenem Morgen dort gewesen sein müssen. Vor dem Bahnhof war ein riesiges Durcheinander kleiner und größerer Busse, Jeeps, Taxis und Kofferträger, um alle Ankommenden in der Stadt und näheren Umgebung zu verteilen.
Wir hatten Glück und fanden unsere freundliche Reiseleiterin Ajuna und einen kugelrund lachenden, noch freundlicheren Busfahrer recht schnell. Sie brachten uns zum Hotel Bayangol.
Schon auf der kurzen Fahrt dahin drückten wir uns die Nasen an der Busscheibe platt, um, und das hatte ich ebenso irgendwo gelesen, einen ersten Eindruck von der wohl trostlosesten Hauptstadt der Welt zu erhaschen. Was ich sah, war aber überhaupt nicht trostlos: ausgesprochen viele junge Menschen, Unmengen Touristen, westliche Autos, Spielplätze vor riesigen Wohnblocks und mittendrin immer wieder Jurten. Im Hotel wurden wir freundlich empfangen. Die Zimmer waren die besten seit ca. 7000 km von Moskau hierher. Der Kühlschrank voll mit Getränken und auf dem Bett eine Tüte für den Wäscheservice (24-Std.-Reinigung pro Kleidungsstück ca. 2 €, 50 % Zuschlag, wenn es in 6 Std. fertig sein sollte).

Im Restaurant, ein moderner Kuppelbau mit irrer Akustik, gab es ein Frühstücksbüfett vom Feinsten. Endlich, frisch geduscht, reichlich gefrühstückt, selbst der Kaffee war fast wie zu Hause, fuhren wir mit unseren stets freundlichen Begleitern in die Mongolische Schweiz. Vorausschauend haben die Mongolen aus diesem zauberhaften Flecken Erde einen Nationalpark gemacht, um die Einzigartigkeit dieser Flora und Fauna zu erhalten. Unterwegs machten wir Stopp bei einer Nomadenfamilie, die auf dem Weg zu einem Fest in die Stadt war. Sie waren genauso neugierig auf uns, wie wir auf sie und so bestaunten und beschnupperten wir uns. Leider war eine Unterhaltung fast unmöglich, denn man hat in der Mongolei zwar kyrillischen Buchstaben, aber eine ganz andere Sprache, als die Russische.

Es war aber unschwer zu erkennen, dass hier traditionelles und modernes Leben aufeinander prallten. Junge Mädchen in hellen Jeans trugen Plateauschuhe und T-Shirts und der Großvater daneben die typische Kleidung der Hirten. Wir sahen Jurten mit riesigen Satellitenschüsseln, während das Wasser auf einem Wägelchen in einer Tonne von weit her geholt werden musste. Das kleine Vieh (Ziegen, Schafe) und das große (Kühe, Pferde und Kamele) ist der ganze Reichtum einer Nomadenfamilie und somit ihre Existenzgrundlage. Das bringt viel Arbeit mit sich, es müssen ständig neue Weideplätze gesucht werden und im Schnitt schlägt man die Jurte dreimal im Jahr ab, um weiter zu ziehen. Dafür braucht man viele fleißige Hände und so ist es auch nicht verwunderlich, dass eine Nomadenfamilie zwischen zehn und zwölf Kindern hat, während die „Städter" nur zwei bis vier Kinder haben. Noch vom letzten Winter waren mir die Berichte von der Eiseskälte, dem Zud, in der Mongolei in Erinnerung geblieben. Der Zud gehört zu den schlimmsten Naturkatastrophen und wird doch selten von der internationalen Presse wahrgenommen. Die Hälfte aller Viehbestände waren dem Zud zum Opfer gefallen und die Nomaden sind, ohne staatliche und internationale Unterstützung, von Armut bedroht.
Weiter ging es über eine Brücke, die eine solche Bezeichnung kaum verdient hatte, und wir machten kurz Halt an einem Haufen aufgeworfener Steine mit einem Stab in der Mitte. Im Wind flatterten blaue Stofffetzchen. Einer schamanischen Tradition folgend soll der Reisende den Platz dreimal im Uhrzeigersinn umlaufen und eine Gabe (Geld oder Süßigkeiten) auf den Haufen legen. Man bittet damit die Gottheiten um einen guten Verlauf der weiteren Reise. Wir taten das sehr gewissenhaft und es hat auch wirklich geklappt.

Die Mongolische Schweiz empfing uns mit herrlichen 25 °C, strahlend blauem Himmel und malerischen Wolkengebilden. Ein faszinierendes Naturschauspiel aus sich windenden Flüssen, gigantischen Felsformationen und grünen Hügeln. Unser Bus passierte problemlos abenteuerliche Wege und wir fuhren in ein kleines Camp, wo uns ein mehrgängiges, typisch mongolisches, Mittagessen in einer traumhaft schönen Jurte erwartete. Der Dachkranz war geöffnet, um für angenehme Temperaturen und Frischluft zu sorgen. In der Nähe gab es eine kleine Jurtensiedlung mit spartanischer Einrichtung für Touristen. Gern wären wir länger geblieben, aber wir hatten ein volles Programm in kurzer Zeit zu bewältigen. Eines ließen wir uns jedoch nicht entgehen: eine Wanderung durch diese erhabene Landschaft.

Wir baten den Busfahrer, uns in ein paar Kilometern einzusammeln. Vorbei ging es an Jurten mit geschäftigem Treiben ringsherum, zotteligen Yacks, Mädchen, die mit Ziegenherden unterwegs waren und Jungen, die uns stolz ihre kühnen Reitkünste zeigten. Ohne Sattel schienen sie fast mit dem Pferd verwachsen zu sein.
Sprachlos machte uns die Schönheit der Natur, die gewaltigen Felsen und die Weiden, auf denen man sich dem Himmel ein Stück näher fühlte. Viel zu schnell mussten wir diesen ergreifenden Ort verlassen, denn unser Bus nahte, um uns einzusammeln.
Zurück in Ulan Bator erwartete uns ein Abendessen, das keine Wünsche offen ließ, anregend begleitet von Klavier und Cello. Gestärkt unternahmen wir einen abendlichen Stadtbummel. Ganz in der Nähe des Hotels fanden wir ein, durch die untergehende Sonne in prächtige warme Farben getauchtes, buddhistisches Kloster und wir bekamen einen Vorgeschmack auf den nächsten Tag, denn da stand Großes auf unserem Programm.
Natürlich waren wir nicht die einzigen Touristen, die auf eigene Faust unterwegs waren. Es wimmelte von flanierenden Menschen, die sich in allen Sprachen unterhielten und viele von ihnen suchten ein Lokal zum Einkehren. Ein Bier zu bekommen ist in Ulan Bator kein Problem. Gibt es doch zwei große, in deutscher Hand befindliche, Brauereien: Khan-Bräu und Chinggis-Bier. Und so fanden wir die meisten dann auch in modernen Biergärten wieder. Fast wie zu Hause und fast machte es mich traurig, gab es doch noch so viel Neues und Fremdes zu erkunden. Gleichwohl fehlten auch Alternativen, da die von Bergen umschlossene Hauptstadt im Prinzip nichts von einer Metropole hat.
Antikgeschäfte und Jurten mit Souvenieren hatten lange geöffnet, boten landestypische Mitbringsel aus der Mongolei in großer Auswahl, aber zu horrenden Preisen in Dollar. Schwer verständlich in einem Land mit einem durchschnittlichen Netto-Einkommen von 400 €! Und so wurde außer ein paar Kleinigkeiten und wunderschönen Postkarten auch nicht viel gekauft. Schade!  Auch als es dunkel wurde, fühlten wir uns auf den Straßen der Hauptstadt sicher. Zwar hatten wir von Taschendieben gehört, wie es sie überall auf der Welt gibt; glücklicherweise haben wir keine Bekanntschaft mit ihnen gemacht.

Am nächsten Morgen konnte ich vom Balkon meines Zimmers einen irren Sonnenaufgang sehen; der Nebel löste sich langsam auf und in die Stadt kam Leben. Im Sommer, wenn Urlaubs- und Ferienzeit ist, sind viele Bewohner auf dem Land und so kommt es nur zu kleineren Staus in der viel zu engen Stadt. Das soll Ende des Sommers jedoch deutlich schlimmer werden, was an den Nerven zerrt. Die Mongolen wissen selbst, dass die Infrastruktur ihrer Hauptstadt den Bedürfnissen einer modernen Stadt nicht mehr gewachsen ist. Eine flächenmäßige Ausweitung ist durch die umliegenden Berge nicht möglich. Daher gibt es die Vision einer komplett neuen Hauptstadt und eines Umzugs dorthin.

An diesem Tag widmeten wir uns den buddhistischen Wurzeln des Landes. Endlich war es so weit, wir fuhren ins Gandan Kloster. Seit Monaten schon hatte ich ein sonnengelbes Büchlein von Amelie Schenk über die Mongolei in meiner Tasche. Auf der Umschlagseite sind drei buddhistische Mönche abgebildet, nach denen ich täglich mehr Sehnsucht bekam. Das Gandan Kloster ist das buddhistische Zentrum der Mongolei. Farbenprächtige Tempelanlagen voll mit Mönchen und solchen, die es einmal werden wollen, Einheimischen und Touristen und Tauben wie in Venedig auf dem San-Marco-Platz. Nach langen Jahren Sozialismus und damit faktisch nicht existenter Religionsfreiheit, ist diese seit Januar 1992 ausdrücklich garantiert. Somit gehören in der Mongolei, nicht nur in den Klöstern, Mönche zum Alltagsbild. Wir sahen diese mit Sonnenbrillen, Bohrmaschinen in der Hand und abends auch mal in Turnschuhen. Inzwischen haben sich die Klöster, auch mit Hilfe und Anregung exiltibetischer Lamas, konsolidiert. Es ist üblich, dass Gläubige Gebühren für Zeremonien an die Mönche zahlen müssen. Wir Touristen zahlten unseren Eintritt und tauchten in eine andere Welt ein. Viele Filme über Buddhismus hatte ich schon gesehen, aber bei einer Zeremonie dabei sein zu dürfen, das übertraf wirklich alles.

Viel zu schnell vergingen die Stunden im Gandan-Kloster. Nach dem Mittagessen in einem Koreanischen Restaurant (einfach Spitze!) fuhren wir zum Bogd Khan Museum im ehemaligen Winterpalast. Uns beeindruckte die Architektur der Anlage ebenso wie die Ruhe und Beschaulichkeit. Wir unternahmen einen schönen Spaziergang durch die Klosteranlage, trafen aber leider nur wenige Mönche in ihren leuchtenden gelben und roten Kutten. Am Abend genossen wir eine Folkloreveranstaltung mit herrlichen fremden Gesängen, Schamanentänzen und akrobatischen Einlagen.

–Und dann mussten wir leider schon wieder unsere Sachen packen und dieses einmalige Stück Erde verlassen. Am Morgen machten wir uns wehmütig und schweren Herzens auf den Weg zum Bahnhof. Dort führte ich ein nettes Gespräch mit der Frau unseres Botschafters in der Mongolei, die mir bestätigte, dass inzwischen viele Touristen das in Aufbruchstimmung befindliche Land als Reiseziel entdeckt hätten. Daher tagte eine Tourismuskonferenz, um die steigende Zahl Reisender, die in der kurzen Zeit von Juni bis Mitte September, das Land besuchen, zu steuern. Auch ich habe das Land, über das ich mich vorher gut informiert glaubte, sofort ins Herz geschlossen und werde auf jeden Fall wieder kommen. Dann allerdings mit dem Flugzeug und mit mehr Zeit. Vor Ort habe ich mich mit Angeboten von verschiedenen Reiseveranstaltern eingedeckt, am besten aber gefallen mir die Routen vom Arbeitskreis Natur und Reisen. Dort kann man mit dem Kamel durch die Gobi (Gurwan Saichan-Nationalpark) reiten, Treckingtouren zum Berg Turgen unternehmen, die Bergwelt des Gobi-Altais erleben, mit dem Jeep durch die Wüste Gobi fahren und vieles, vieles mehr.
Bedeutung als beliebtes und sicheres Reiseziel wird die Mongolei auch dadurch gewinnen, dass sie so ziemlich das einzige Land auf der Erde ist, das zu keinem Macht- oder Militärbündnis gehört und somit nicht so leicht in die gegenwärtigen weltpolitischen Turbulenzen gerät.

 

Pia Thauwald, 2001

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